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04.06.2020

Cem Sekerlioglu l(i)ebt Austria Wien seit drei Jahrzehnten

29 Jahre Austria Wien – eine schier unglaubliche Zeitspanne, auf die ein Mann zurückblicken kann. Cem Sekerlioglu geht im Sommer in seine 30. Saison (!) bei seinem Herzensklub. Der aktuelle U18-Coach erinnert sich an seine Zeit als Spieler, eine fatale Verletzung sowie unzählige Profis, die durch seine Trainer-Hand gingen und erklärt, was ihn immer weiter antreibt.

Sommer 1985. Der sechsjährige Cem, der junge Bruder von Austria-Profi Attila Sekerlioglu, besucht sein erstes Training bei der Austria. "Ich muss gestehen, vom Training selbst weiß ich nicht mehr viel, aber wir haben zum Abschluss ein Match gespielt. Als ich den Ball bekommen hatte, bin ich immer zum näheren Tor gelaufen – leider war es jedes Mal das eigene und ich habe drei Eigentore gemacht", erinnert sich Sekerlioglu zurück. "Meinem Vater war das damals richtig peinlich. Ich habe dann noch ein Jahr gewartet und mit sieben Jahren begonnen."

Sein 14 Jahre älterer Bruder nahm den kleinen Cem dann immer wieder mit in die Kabine. "Ich habe alle Legenden gekannt, Ogris, Pfeffer & Co." Was für andere ein Traum gewesen wäre, war für Cem Sekerlioglu normal, der Alltag. "Ich bin so aufgewachsen", sagt er über 30 Jahre später.

Als Spieler sorgte er aber ebenso für Aufmerksamkeit, Cem Sekerlioglu galt als vielversprechendes Talent, er machte sich gut, ehe ein "einschneidendes Erlebnis" in der U15 seinen Aufwärtstrend erstmals stoppen sollte. "Wir hatten ein Hallenturnier in Salzburg, standen im Finale gegen 1860 München und ich habe mir dort den Knöchel gebrochen." Doch Sekerlioglu gab nicht auf, kämpfte sich zurück und war in der U18 am Sprung zu den Profis.

Leider plagten ihn immer wieder Probleme, weshalb er Dr. med. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt in dessen Praxis in München aufsuchte – und der Mannschaftsarzt des FC Bayern München ihm eine niederschmetternde Diagnose stellte: Leistungssport sei unter diesen Umständen nicht möglich.

Die Profikarriere als Spieler war damit vom Tisch, Sekerlioglu musste sich erst sammeln. Recht schnell kamen aber Markus Schruf, der damalige Nachwuchsleiter der Austria, und Ralf Muhr auf ihn zu. Sekerlioglu sollte in der U7 und bei den BNZ-Teams (Bundesnachwuchszentrum; Anm.) als Co-Trainer fungieren. "Die Spieler dort waren damals 15, 16 Jahre alt, ich war 18." Er sagte zu, bald schon juckte es den Teenager aber selbst wieder in den Füßen, er wollte wieder aktiv auf dem Feld mitwirken. "Wenn du in diesem Alter an der Linie stehst, ist es unheimlich schwer, nicht selbst spielen zu wollen." Und so nahm er die Fußballschuhe wieder vom Nagel.

"Durch meinen Bruder bin ich im Sommer 1999 zu Untersiebenbrunn gekommen, konnte dann in der zweiten Liga spielen." 15 Begegnungen absolvierte der damals 20-jährige, ehe ihn eine weitere schwere Verletzung, ein Kreuzbandriss, stoppen sollte. Es folgten eine Reha sowie der Transfer zum SV Hundsheim in die Regionalliga Ost. "Das war damals eine Top-Mannschaft, gespickt mit ehemaligen Bundesliga-Spielern." Arminas Narbekovas beispielsweise, der von 1990 bis 1996 132 Pflichtspiele für Austria Wien absolvierte.

Später spielte Sekerlioglu noch in der burgenländischen Landesliga für den ASK Horitschon, am Ende in der Wiener Liga unter anderem bei IC Favoriten und beim SV Donau. 2002, noch während seiner aktiven Zeit, bekam er vom Nachwuchskoordinator der Austria, Norbert Barisits, das Angebot hauptberuflich in der Akademie in Hollabrunn zu arbeiten. "Da habe ich nicht lange überlegt und sofort zugesagt. In meinem ersten Jahr war ich der Co-Trainer von Herbert Gager in der U15, als Spieler war zum Beispiel Michael Madl im Kader", weiß Sekerlioglu noch genau.

Zur Saison 2007/08 übernahm er dann erstmals ein Team als Cheftrainer in der Frank-Stronach-Akademie. "Ich war Trainer der U17 mit unter anderen Aleksandar Dragovic, David Alaba und Christoph Knasmüllner." Sekerlioglu führte das Team in Folge zum Titel in der ÖFB Jugendliga: "Das ist unvergesslich, es war surreal."

Sekerlioglu verbrachte dann noch ein Jahr in Hollabrunn, ehe die Austria-Akademie nach Wien-Favoriten an ihren heutigen Standort unweit der Generali-Arena siedelte. "Ich habe in den bisherigen 18 Saisonen als Trainer eigentlich alle Akademie-Jahrgänge durchgemacht und dabei etwa 400 Spieler auf ihrem Weg begleitet." Darunter waren etwa Heinz Lindner, Alexander Grünwald, Markus Suttner, Tomas Simkovic, Rubin Okotie, Ivan Lucic, Patrick Pentz, Tarkan Serbest, Peter Michorl, Alexander Gorgon, Ismael Tajouri, Marin Leovac, Nikola Dovedan, Dominik Prokop, Arnel Jakupovic, Dominik Fitz, Niels Hahn und Aleksandar Jukic.

"Man kennt die Burschen ja von klein auf und wenn man sich wiedersieht, hat man immer gemeinsame Erinnerungen, das ist sehr schön und schweißt zusammen." Und so steht Sekerlioglu nach wie vor mit einigen Spielern in Kontakt, geht mit Rubin Okotie essen oder feiert mit David Alaba Geburtstag.

Seither ist einiges passiert. Woran erinnert sich Sekerlioglu eigentlich am liebsten? "Als Spieler wurden wir einmal ungeschlagen Meister, das war ein super Jahr. Als Fan, es war zwar auswärts, aber 1991 fixierte die Austria durch ein 2:2 gegen die Admira in der Südstadt den Titel. Die Fans sind dann alle aufs Feld gelaufen, mein Bruder hat mir sein Trikot geschenkt." Und als Trainer? "Natürlich der erste Meistertitel gleich 2008. Die drei Titel in Göttingen sind aber ebenso unvergesslich, genau wie jeder Derbysieg."

Es gab ein paar Highlights in den letzten Jahren für den heute 41-Jährigen. "Ein großer Dank gilt natürlich der Austria und im Speziellen Ralf Muhr, der mir früh das Vertrauen geschenkt hat." Und auch wenn ein Eigenlob in manchen Fällen stinken mag, ist es hier absolut berechtigt. "Diesen Job so lange zu machen, das ist keine Selbstverständlichkeit, von beiden Seiten, also dem Klub und mir. Ich glaube, dass ich dem Verein viel zurückgegeben habe, bin gleichzeitig aber auch sehr dankbar."

Cem Sekerlioglu liebt, was er tut. Das merkt man ihm zu jedem Zeitpunkt an, er lebt mit jeder Faser seines Körpers mit seinen Schützlingen mit. "Mit Jugendlichen zu arbeiten wird nie langweilig. Da geht immer etwas weiter, es gibt immer Entwicklung und man bekommt immer etwas zurück. Das treibt an." So sehr, dass im Sommer das 30. Jahr Austria Wien ansteht – und noch lange kein Ende in Sicht ist.

Doch Sekerlioglu konnte nicht nur mit einigen heute sehr bekannten Spielern arbeiten, sondern auch mit Trainern. "Herbert Gager, Franz Gruber, Günter Kreissl, Manfred Schmid, Thomas Janeschitz, Andreas Ogris", zählt er etwa auf, "da waren schon einige dabei." Bei einem Mann hält Sekerlioglu dann kurz inne. "Ich habe dem Herbert viel zu verdanken. Er hat mich damals herangeführt und wie er das gemacht hat, war schon super."

Gager war es auch, der Sekerlioglu 2014 zum Co-Trainer der Kampfmannschaft machte, die Gager im Februar interimistisch übernahm. "Er hat mich damals um Mitternacht angerufen, ob ich das machen will, ob ich bereit bin." Und Sekerlioglu war bereit: "Zwei Tage später habe ich plötzlich Philipp Hosiner trainiert. Das war eine enorm lehrreiche Zeit für mich als Trainer und Person."

Seit Sommer 2014 ist Sekerlioglu Trainer der U18, im kommenden Sommer 2020 geht er in seine 30. Saison bei Austria Wien. Elf Jahre als Spieler von der U7 bis zur U18 sowie 18 Jahre als Coach hat er bis dato zu Buche stehen. "Austria Wien, das war und ist mein Leben. Ich kenne das Horr-Stadion noch mit Holztribüne und einer händischen Anzeigetafel."