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01.04.2020

Hubert Baumgartner: "Wir waren eben ein Siegerteam"

Vor 42 Jahren gelang Austria Wien als erstem österreichischen Team der Einzug in ein Europacupfinale. Im Europapokal der der Pokalsieger sorgten die Veilchen damals für Furore, ließen die Massen erstaunen und feierten einen der größten Erfolge in der Klubgeschichte. Eine Zeitreise mit Austria-Legende Hubert Baumgartner.

Mittwoch, 12. April 1978. Wien-Leopoldstadt, Praterstadion. Weit über 72.000 Zuschauer verfolgen das Halbfinal-Rückspiel Austria Wien gegen Dinamo Moskau. Die Veilchen gewannen mit 2:1 und mussten in die Verlängerung, die torlos zu Ende ging. Die Entscheidung, welches Team ins große Finale einziehen würde, musste im Elfmeterschießen fallen. Die ersten vier Schützen beider Mannschaften trafen, ehe Hubert Baumgartner im Tor der Austria Aleksandr Bubnov am Elfmeterpunkt gegenüberstand – und den wuchtigen Schuss des Verteidigers parieren konnte. Alberto Martinez zeigte im Anschluss keine Nerven, versenkte den Ball im Netz und schoss sein Team nach Paris.

"Das waren so einschneidende Momente in meinem Leben, das werde ich nie vergessen", erinnert sich Baumgartner am Telefon zurück. "Oft denke ich mir, wie schnell die Zeit vergeht. Über 40 Jahre ist das schon her. Und trotzdem kann ich mich erinnern, als wäre es gestern passiert, als wäre ich immer noch mittendrin."

Baumgartner, der am 25. Februar seinen 65. Geburtstag feierte, weiß noch ganz genau, wie es 1978 zu diesen Erfolgen gekommen ist. "Beim Rückspiel gegen Dinamo Moskau, da gab es einen riesigen Energieschub durch die Zuschauer. Das Stadion war ausverkauft, damals haben 72.000 Fans hereindürfen. Aber ich glaube nach der Pause waren es nochmal deutlich mehr, sie haben die Tore geöffnet, weil so viele vor dem Stadion gestanden haben."

Es war aber eben nicht nur dieses eine Spiel, es war viel mehr, was den Einzug ins Finale möglich machte. Zusammenhalt, Freundschaft, Spaß, Bescheidenheit, Gemeinschaft. Wörter, die Baumgartner immer wieder in den Mund nimmt, sie hervorhebt. Das ist ihm wichtig. Es war damals keine One-Man-Show, wie man heute sagen würde, sondern eine großartige Teamleistung.

Die Reise bis ins Finale nach Paris begann am 14. September 1977 mit dem Auswärtsspiel der ersten Runde bei Cardiff City. Das Spiel endete 0:0, im Tor stand damals noch Johannes Weninger. Zwei Wochen später gewann die Austria das Rückspiel durch den Treffer von Ernst Baumeister in der 53. Minute mit 1:0, Baumgartner konnte den Sieg auf dem Feld bejubeln. In der zweiten Runde bekam es Violett mit Lokomotive Kosice zu tun. Ein schweres Los, wie Baumgartner berichtet: "Das war damals eine sehr starke Mannschaft, ein unangenehmer Gegner." Im Hinspiel in Wien gab es ein 0:0, wieder war im Rückspiel alles offen.

Doch die Vorzeichen standen alles andere als gut. "Das Spiel war am 2. November. Drei Tage vorher hat das Nationalteam in der Türkei gespielt. Herbert Prohaska hat uns mit dem Spitz von Izmir zur WM geschossen. Das Problem war, dass wir dann nicht alle gemeinsam nach Kosice reisen konnten, sondern auf zwei Partien aufgeteilt waren." Erst saß Baumgartner im Bus, die letzten Kilometer dann im Zug. Es war eine anstrengende Anreise. "Eigentlich hat keiner an uns geglaubt", sagt er.

"Kosice war gefühlt 80 Minuten lang in unserem Strafraum. Sie haben uns kaum Luft zum Atmen gelassen. Dann hat es auch noch geschüttet wie aus Kübeln, das Spiel musste für 20 Minuten unterbrochen werden." An diesem Tag entstand auch das heute noch so populäre "I wer' narrisch!" von Edi Finger – und nicht etwa erst einige Monate später beim 3:2-Sieg der Österreicher über Deutschland in Cordoba. "Der Edi hat das damals gesagt, weil Kosice andauernd in unserer Hälfte war und wir uns so dagegengestemmt haben. Bei der WM 1978 hat er es dann wieder gerufen, das blieb in Erinnerung."

In der 51. Minute brachte Gejza Farkas die Gastgeber ausgerechnet per Elfmeter in Führung. "Aber dann hat der Morales (Julio Morales, Anm.) im Sitzen den Ausgleich gemacht und wir haben das Ergebnis drübergebracht", berichtet Baumgartner. Und sagt: "Das war vielleicht das wichtigste und beste Spiel meiner gesamten Karriere."

Das Los bescherte Austria Wien im Viertelfinale Hajduk Split, die Spiele sollten aber erst im Frühjahr 1978 ausgetragen werden. Währenddessen hatten die Veilchen auch in der 1. Division, der heutigen Bundesliga, alles im Griff, lagen zur Winterpause nach 19 Spielen mit acht Punkten vor Verfolger und Titelverteidiger Wattens-Wacker auf dem ersten Platz. Hätte damals schon die Drei-Punkte-Regel gegolten, wären es gar elf Zähler Vorsprung gewesen.

"Wir hatten damals sehr viele englische Wochen, aber waren voll im Rhythmus, das hat uns gefallen. Auch das Training war großartig, es ging teilweise härter zu als in den Spielen. Jeder wollte gewinnen. Legendär waren immer unsere Trainingsspiele über die Breite. Acht gegen Acht. Da ist es ordentlich zugegangen", weiß Baumgartner bis heute.

Die Spieler hätten sich damals aber auch viel Zeit genommen, um sich gegenseitig zu helfen. "Ich habe oft zu Daxi (Karl Daxbacher, Anm.) oder Thommy Parits gesagt, sie sollen mit mir Eins-gegen-Eins-Situationen üben. Wichtig war mir aber immer, dass es ernst war, also habe ich gesagt 'Matchsituation', dann haben alle Bescheid gewusst. Der Prohaska hat dann zwar immer Schmähs gemacht, aber ich glaube er muss heute noch schmunzeln, wenn er 'Matchsituation' hört", lacht auch Baumgartner.

"Wir waren damals ein großes Team. Alle gemeinsam, die Spieler auf dem Feld, die Ersatzbank, die Betreuer, das war unglaublich. Diese Gemeinschaft war unsere Stärke", schwärmt Baumgartner. "Und wir hatten auch ein super Verhältnis mit den Trainern, Hermann Stessl hat uns super geführt, da hat er eine gute Hand dafür gehabt." All das habe mitgespielt, um diese Erfolge zu feiern, betont der Tormann.

Am 2. März 1978 sollte die Geschichte weitergeschrieben werden. Das Hinspiel gegen Hajduk Split stand im Praterstadion auf dem Programm. Thomas Parits brachte sein Team nach einer Stunde in Führung, wenige Minuten später gelang Ivan Surjak der Ausgleich. 1:1 endete das erste Duell, wieder war für das Rückspiel also alles offen.

Das fand am 15. März, dem 67. Geburtstag der Austria, in Split statt – und damals machte Baumgartner seinem Spitznamen Elfmeterkiller alle Ehre. Erst aber traf Davor Cop zum 1:0 für die heutigen Kroaten. Kurz vor der Pause verschuldete Baumgartner dann einen Strafstoß. "Durch einen schlechten Abwurf", wie er sagt. Aber er machte seinen Fehler gut: "Mit den Fingerspitzen war ich dran", weiß er noch genau. Drago Rukljac vergab damit die große Chance, eine kleine Vorentscheidung herbeizuführen. Und die Veilchen kamen nach der Pause zurück, Karl Daxbacher erzielte den Ausgleich. Weil es in der Verlängerung keinen Treffer gab, musste die Entscheidung im Elfmeterschießen fallen.

Dort traf erst Thomas Parits, Nenad Salov scheiterte an Baumgartner. Auch Herbert Prohaska verwandelte und auch Jure Jerkovic verschoss. Fritz Drazan behielt wie seine Kollegen die Nerven, stellte auf 3:0. Damit stand Cop unter Druck, er musste treffen – doch Baumgartner war stärker, parierte den Versuch und führte die Austria ins Halbfinale des Europapokals der Pokalsieger.

Der Gegner dort lautete Dinamo Moskau, aufgrund des starken Winters in der heutigen russischen Hauptstadt musste aber nach Tiflis ausgewichen werden. Baumgartner wird diese Reise niemals vergessen, traf er doch dabei auf sein Idol Lev Yashin, der vom russischen Verband als Reiseleiter für die Violetten abgestellt wurde. Der "Schwarze Panther", wie Yashin genannt wurde, galt schon damals als einer der besten Torhüter der Welt. "Ich kannte ihn nur aus der Zeitung. Aber auf einmal schaute er uns beim Training zu, das war unglaublich."

Doch es kam noch besser für den damals 23-jährigen Baumgartner: "Auf einmal kam er zu mir und sagte, ich sei ein sehr guter Tormann, ein großes Talent. Ein solches Kompliment von diesem Mann, das werde ich nie vergessen", kann er es auch über 42 Jahre später noch kaum glauben. "Leider war Yashin dann beim Rückspiel nicht mehr dabei. Die ganze Mannschaft hätte ihn gerne wieder getroffen, aber der Verband hatte ihn schon anders eingesetzt."

Ob sich Yashin das Spiel in Wien noch angesehen hat, weiß Baumgartner nicht. Die Begegnung in Tiflis hat er aber jedenfalls mitverfolgt. Und sah, wie Austria Wien durch Ernst Baumeister in Führung ging und das 1:0 auch lange hielt. Zwei späte Tore von Zurab Tsereteli (84.) und Mikhail Gershkovich (86.) drehten die Partie aber noch und fügten den Veilchen so die erste Niederlage im laufenden Bewerb zu.

Und so stand die Austria zwei Wochen später im ausverkauften Praterstadion unter Druck. Nach der torlosen ersten Hälfte traf erst Hans Pirkner nach einem Elfmeter (49.) und kurz darauf auch Julio Morales (56.), der Hexenkessel im Prater kochte beinahe über. In der Folge hatte das Team von Hermann Stessl die Partie im Griff. Es lief bereits die 90. Minute. "Wir haben eigentlich nur noch auf den Abpfiff gewartet, waren schon zum Jubeln bereit." Doch dann, 20 Sekunden vor dem Ende, wie Baumgartner erzählt, der Schock. Andrei Yakubik erzielte das 1:2 aus Sicht der Gäste und rettete sein Team in die Verlängerung.

"Wir dachten, dass wir jetzt gegen die starken und athletischen Russen keine Chance haben werden. Aber wir haben uns dagegengestemmt. Es war eben ein Siegerteam und wir wollten unbedingt nach Paris." Es kam zum anfänglich angesprochenen Elfmeterschießen. Thomas Parits, Hans Pirkner, Herbert Prohaska und Julio Morales trafen für die Austria, Vladimir Kazachyenok, Aleksandr Makimenkov, Zurab Tsereteli und Andrei Yakubik für Dinamo.

"Bei den ersten Elfmetern habe ich mich immer für eine Ecke entschieden. Dann habe ich mir gedacht, jetzt bleibst du einmal lange stehen, wir haben das ja immer wieder geübt im Training. Ich stand im Tor, Aleksandr Bubnov legte sich den Ball auf und nahm dann glaube ich 20 Meter Anlauf, das war ein Wahnsinn. Bis der da ist, muss er doch komplett müde sein, das gibt's ja nicht, hab' ich mir gedacht." All das spielte sich in Baumgartners Kopf innerhalb weniger Augenblicke ab. Bubnov lief an, Baumgartner blieb stehen und konnte den scharf geschossenen Elfmeter halten. "Ich bekomme heute noch eine Ganslhaut, wenn ich das erzähle", beschreibt Baumgartner.

Auch mit seinen damaligen Teamkollegen schwelgt er oft in Erinnerungen und wird selbst heute noch immer wieder auf diese Zeit angesprochen. "Das ist doch das Schöne, dass es über 40 Jahre später immer noch im Gedächtnis der Leute ist. Es war so ein wunderbares Team, ein großer Verein und deshalb bin ich auch mein ganzes Leben lang ein Erz-Violetter geblieben, obwohl ich ja auch bei anderen Vereinen war. Das war einfach eine so schöne Zeit!"

Baumgartner spielte nach seinem Engagement bei der Austria in Spanien bei Recreativo Huelva sowie bei der Admira und St. Pölten. Später war er bei beiden Klubs auch als Trainer tätig, ebenso wie bei Rapid und dem FC Linz. Eine Anekdote hat Baumgartner auch noch aus seiner Zeit in Hütteldorf im Talon: "Wir haben damals in Kroatien gescoutet und ich habe zufällig Vladimir Markovic getroffen, der Trainer von Hajduk Split war, als wir 1978 gegen sie gespielt haben. Ich habe ihn gefragt, ob er sich noch an mich erinnern kann." "Natürlich, wie sollte ich dich jemals vergessen. Du hast gegen uns vier Elfmeter gehalten", entgegnete Markovic sehr zur Freude von Baumgartner.

Zurück ins Jahr 1978. Im Finale unterlag Austria Wien den damaligen "Königlichen" des RSC Anderlecht mit 0:4. Es lief nur wenig zusammen, die Veilchen erreichten nicht die Form der vergangenen Spiele. "Damals sind ein paar Fehler passiert. Aber darüber sollte man 42 Jahre später nicht mehr sprechen", sagt Baumgartner.

Baumgartner und Erling Haaland

Fest steht jedenfalls: "Diese ganze Zeit wird immer präsent sein, das werde ich immer bei mir behalten. Erling Haaland hat vor Kurzem auf die Frage, wie es wäre, vor der Gelben Wand in Dortmund zu spielen, gesagt, dass man das nicht beschreiben könne, man muss es einfach selbst erlebt haben. Das war für mich so treffend und hat mich an die Zeit damals erinnert. So geht es mir auch, das war so unglaublich, es ist eigentlich nicht möglich, all das in Worte zu fassen."

Doch Hubert Baumgartner hat es geschafft. Auf beeindruckende Art und Weise – wie er schon 1978 im Tor agiert hatte.

Vielen Dank an das Österreichische Pressebüro für das Bereitstellen von Fotomaterial. Unter oepb.at finden sich weitere Geschichten zu Austria Wien aus früheren Jahren.