Portrait |

08.02.2024

Joe Handl: "Kicken als Privileg"

Johannes Handl ist eine tragende Säule des violetten Abwehrbollwerks und seit Sommer in bestechender Form. Läuft alles nach Plan, feiert er im März sein 100. Bundesligaspiel in Violett. Der sympathische Steirer über seinen jugendlichen Leidensweg, die Entwicklungen im Verein und warum er das Rampenlicht gerne anderen überlässt.

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Aufgewachsen im beschaulichen Frohnleiten zwischen Graz und Bruck kann sich Johannes Handl an ein Leben ohne Fußball nicht erinnern. Die Schule wurde schnell zweitrangig, Mathe und Matura? Auf dem Weg zum Profikicker lästig. Trotz Nachprüfungen hat der 25-jährige aber „immer alles drübergebracht, ganz nach dem Motto ‚4 Gewinnt‘. Auswendig lernen ging noch, verstehen war nicht so meins“, grinst Joe. Seine Spitznamen änderten sich mit den Stationen. In der Jugend der Jo, dann der Hauns und der Hannes. „Den Joe haben sie mir erst in Wien umgehängt, da kennen sie den Hauns nicht so gut wie in der Steiermark.“

„Will das nie wieder erleben!“

Nach zehn Jahren in der Jugend des SK Sturm, drohte der große Traum zu platzen. Joe war gerade am Sprung in den Grazer Profikader, als im Rahmen einer Routine-Untersuchung eine Peruneussehnen-Luxation im Knöchel festgestellt wurde, die den damals 19-jährigen an den Rand eines Karriereendes brachte. Der Operation folgten sieben Monate Fußballpause. Eine Woche nach seinem Comeback dann die Horror-Diagnose: Dasselbe noch einmal. „Damals hatte ich Schrauben im Knöchel und die Sehne ist nicht mehr von alleine zurückgehupft. Ich hatte Höllenschmerzen, also hab‘ ich mich wieder unters Messer gelegt. Zum Glück ging es dann gut, auch wenn ich so etwas nie wieder erleben will.“

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So eine Leidenszeit prägt. Der einst so verbissene Jungspund hatte wieder ein Auge auf die Geschehnisse abseits der Fußballwelt, fand Zeit für Familie und Freunde und bastelte an einer Exit-Strategie: „Ich hab‘ mir irgendwann gedacht, wenn‘s nicht mehr geht, werd‘ ich halt Volksschullehrer.“ Je länger die Verletzung andauerte, desto gelassener wurde er. Der Druck wich, der Kopf wurde frei, der Spaß am Kicken rückte wieder in den Vordergrund. 2017 kehrte Joe auf den Platz zurück, wechselte zum SV Lafnitz, wo er seine konstanten Leistungen 2018 mit dem Meistertitel in der Regionalliga krönte. Das rief die Verantwortlichen von Wacker Innsbruck auf den Plan, der Traum vom Profidasein lebte wieder. „Das halbe Jahr in Innsbruck war ein Schritt raus aus der Komfortzone, in der Zeit bin ich erwachsen geworden. Ich hab‘ alleine in einer 30qm-Wohnung am Bauernhof gewohnt. Vom Balkon aus hab‘ ich den Kühen beim Fressen zugeschaut.“

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Es war Ralf Muhr, der den 1,96m-Lulatsch im Juli 2019 nach Favoriten lotste. Eigentlich als Aufbauspieler für die Young Violets gedacht, wusste Joe in der Vorbereitung zu überzeugen und setzte sich oben fest. „Für mich war es schon ein Privileg, überhaupt oben mit zu trainieren. Dass es dann so schnell geht, hätte ich mir damals selbst nicht gedacht.“ Es gab schon schlimmere Einstände als einen 5:1-Auswärtssieg in Mattersburg. Nach dem Traumstart kam der Dämpfer und Joe wurde zwischenzeitlich wieder zu den Young Violets verschoben. „Das war schon ein zähes Hin und Her. Wo trainiere ich mit, wann spiele ich, wo spiele ich wie?“ Für die eigene Entwicklung suboptimal. „Ich hatte immer die Angst, dass ich beim nächsten Fehler in der Kampfmannschaft gleich wieder nach unten rutsche. Vielleicht hab‘ ich manchmal zu viel nachgedacht.“ Unter Trainer Peter Stöger sah der Steirer wieder mehr Land, unvergessen sein Doppelpack im Jänner 2021 in der verschneiten Südstadt: „Neben den Siegen in Auswärts-Derbys mein Highlight bis jetzt.“ Mit der Verpflichtung Michael Wimmers erfuhr Joe erstmals jenes hundertprozentige Vertrauen, das er für den nächsten Entwicklungsschritt benötigte. „Das macht dann einfach was mit dir“. Aktuell hält Joe bei 96 Spielen für die violetten Profis. Läuft alles glatt, feiert er im März seinen Hunderter.

„Lucio war schon ein Phänomen“

Die Statistiken seit vergangenen Sommer können sich sehen lassen: 16 Gegentore aus 17 Spielen, eine hundertprozentige Startelf-Quote - unsere Nummer 46 wurde zur tragenden Säule des neuen violetten Abwehrbollwerks. Die Umstellung auf Dreierkette sei ihm mit seinem Vorwärtsdrang entgegengekommen. Für seine oft unkonventionellen Dribblings gibt es auch ein Vorbild: „Lucio von Bayern war schon ein Phänomen. Der hat sich den Ball genommen und wenn er Raum hatte, ist er so weit gelaufen, wie er gekommen ist. Ich seh‘ meine Rolle ähnlich.“

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Obwohl Joe im Team und bei den Fans ein hohes Standing genießt, hallt sein Name eher selten durch die Arena. „Vielleicht liegt das an meiner Persönlichkeit“, munkelt er. Drama und Ekstase sind seine Sache nicht. Das hätte sich im Laufe der Jahre so entwickelt. „Ich lasse die Dinge nicht mehr so nah an mich ran, auszucken zahlt sich nicht aus.“ Dass die Gelassenheit auch an ihre Grenzen stößt, zeigt sich, als er auf die Fans zu sprechen kommt: „Die sind der Wahnsinn! Wenn wir da hinten einen rausgrätschen, zucken sie aus. Ich muss meinen Namen aber nicht hören, um das zu spüren.“ Das Rampenlicht überlässt er gerne anderen und generell, so sagt er, müsse man am Platz ja auch nicht immer alles in voller Lautstärke ausdiskutieren, damit die Dinge funktionieren. „Sergio Ramos hat einmal gesagt, dass er sich bei Länderspielen mit Gerard Pique nie groß auszutauschen brauchte, weil beide immer genau gewusst haben, was der jeweils andere macht.“

„Sich seine Privilegien vor Augen halten“

Von welchem seiner bisherigen Mitspieler er am meisten gelernt hat? „Michi Madl war unglaublich. Vom Typ her, vom Auge her, vom Kopfballtiming. Er hat ein Spiel lesen können. Technisch ist es eindeutig Fitzi, er hat mit Abstand den feinsten Fuß von allen.“ Mit Dominik Fitz entwickelte sich im Lauf der Jahre eine enge Freundschaft: „Wir sitzen schon einmal beim Heurigen zusammen, unsere Freundinnen verstehen sich auch gut, das passt.“ Die Teamchemie generell sei hervorragend: „Wir haben so viele irre Typen in der Mannschaft, die sind immer für Überraschungen gut. Du denkst dir jeden Tag: 'Oida, womit kommt der jetzt schon wieder daher?' Es ist einfach lustig, jeden Tag in die Kabine zu kommen.“ Joes Vertrag endet 2026. Ob er sich jetzt schon vorstellen kann, länger am Verteilerkreis zu bleiben? „Auf jeden Fall. Die Stimmung hier ist so positiv: Fans, Staff, Betreuer, Büro. Hier zu spielen ist für mich nicht selbstverständlich. Man muss sich als Kicker auch immer wieder vor Augen führen, dass man zu den wenigen Privilegierten gehört, die ihr Hobby zum Beruf gemacht haben.“