20.12.2023
Patrick Fürst ist ein Kind aus Favoriten. Seit Sommer trainiert er die U16-Mannschaft der Wiener Austria, die sich kürzlich zum „Winterkönig der Herzen“ krönte. Im Interview erzählt der 39-Jährige von seinem unkonventionellen Werdegang, von pädagogischen Herausforderungen im Jugendfußball und von unabdinglichen Eigenschaften am Weg ins Profigeschäft.
Patrick, ähnlich wie deine Kollegen von den Young Violets, aus der U18 und der U15 bist du bereits sehr früh als Trainer tätig gewesen. Mit 24 Jahren hast du die Admira-Jugend trainiert. Blöd gefragt: Hast du dich als Kicker verletzt oder war das Trainerdasein immer schon ein Berufswunsch von dir?
Patrick Fürst: Es hat sich einfach anders ergeben. Ich durfte parallel zur Schule als Sportjournalist bei der Kronenzeitung reinschnuppern. Nach dem Zivildienst bin ich dann endgültig dort gelandet. Ich war sechs Jahre als Sportberichterstatter in Niederösterreich tätig. Das Trainerwesen war immer schon spannender für mich. Einerseits hat es sich gut mit der Arbeit vereinen lassen, andererseits hätte ich auf dem Niveau meiner Ansprüche nicht Fußballspielen können. Als Fußballer wäre sich kein Top-Niveau ausgegangen. Das war für mich aber kein Drama.
Du bist nach 9 Jahren Pause das zweite Mal Jugendtrainer bei der Austria. Hast du einen besonderen Draht zum Klub?
Patrick Fürst: Ich bin ein Kind aus Favoriten, ich hatte als Jugendlicher auch ein Abo auf der Tribüne. Meine Familie sind alles Violette, der Bezug zur Austria war immer da. Mein Bruder hat damals bei der Admira gekickt, mein Vater war dort als Bereichsleiter beschäftigt. Darum hab‘ ich meine Trainerlaufbahn bei der Admira begonnen. Ich bin kurz darauf von der Austria als U13-Trainer geholt worden, war dort nebenberuflich zweieinhalb Jahre tätig. Damals hab‘ ich schon mit Spielern wie Motz Braunöder, Niels Hahn oder Can Keles arbeiten dürfen. Das war eine schöne Zeit. Ich hab’ früh das Gefühl gehabt, dass ich für den nächsten Step bereit bin und kurz vor meinem 30. Geburtstag im Erwachsenenfußball angeheuert.
Dort warst du sechs Jahre Unterhaustrainer: bei Katzelsdorf, Himberg und bei Vösendorf in der 2. Landesliga. Wie war diese Zeit für dich und was konntest du später wieder in den Jugendfußball mitnehmen?
Patrick Fürst: Es waren vor allem sozial ganz andere Themen, mit denen du konfrontiert bist. Im Umgang mit Erwachsenen, die teilweise älter waren als ich, ist man natürlich anders gefordert war als im Umgang mit Kindern. Für meine Flexibilität war das sicher hilfreich.
2020 bist du zur Admira-Jugend zurückgekehrt. Letzten Sommer kam das Angebot von der Austria. Als Außenstehender denkt man sich vielleicht: „Warum geht er wieder in die Jugend zurück, wenn er schon in der Landesliga war?“ Was war der Hintergedanke?
Patrick Fürst: Genauso wie es damals der richtige Schritt war, in den Erwachsenenbereich zu wechseln, war es für mich der richtige Schritt, wieder zum Jugendfußball zurückzukehren. Das Umfeld bei der Austria war für mich eine entscheidende Facette. Alle hier arbeiten auf höchstem Niveau. Die Spieler sind bereit, dem Sport alles unterzuordnen. Das hat man in dieser Form bei sogenannten „Nebenberufs“-Vereinen nicht. Hier haben alle einen großen Traum. Sie haben das Ziel, in diesem Stadion zu spielen. Das ist ein ganz anderes Klima.
Als 15- oder 16-jähriger ist man in dem Alter, wo Körper und Hormone verrückt spielen, die Pubertät voll durchschlägt. Gleichzeitig soll man als Spieler aber die Disziplin haben, Tag für Tag ans Leistungsmaximum zu gehen. Welche pädagogischen Herausforderungen bringt der Job als Jugendtrainer mit?
Patrick Fürst: Der Spagat ist groß. Die Belastung und der Load werden von außen unterschätzt. Gerade auch die schulische Belastung. Auf die muss man aber den Fokus legen, wenn man weiß, dass sich nur ein geringer Prozentsatz den Traum des Profikickers erfüllen wird können. Trotzdem musst du den Spielern vermitteln, dass jede einzelne Einheit wie ein Finale ist.
Wenn sie mit der richtigen Haltung an die Dinge herangehen, ist die Chance höher, dem Traum einen Schritt näher zu kommen. Wir wissen natürlich, dass es nicht leicht ist. Das Soziale steht definitiv im Mittelpunkt. Wenn ich das Gefühl habe, dass einer mit der richtigen Einstellung dabei ist, dann kann ich als Trainer auch über gewisse Dinge hinwegsehen. Aber die Jungs wissen: Sie sind nur drei Jahre von der Kampfmannschaft entfernt. Es bleibt nicht mehr viel Zeit. Und die Konkurrenz ist riesig.
Muss man als Jugendtrainer auch ein Stück weit großer Bruder sein? Oder anders gefragt: Was denkst du, sagen deine Spieler über dich?
Patrick Fürst: (lacht) Ganz schwierig. Ich glaube, eine respektvolle Distanz ist wichtig. Wir im Trainerteam versuchen natürlich, Ansprechpartner für alle sein, ein offenes Ohr zu haben. Gleichzeitig muss es professionell bleiben. Die Jungs wollen dem Trainer natürlich auch nicht alles verraten, was für uns völlig in Ordnung geht. Ich glaube, die Kompetenzen müssen innerhalb des Trainerteams gut aufgeteilt sein. Mein Co-Trainer Mario Nastl ist da manchmal vielleicht der beliebtere Ansprechpartner. Wir versuchen, für jeden Einzelnen da zu sein.
Kommen wir zur laufenden Saison: Die U16 liegt nach 9 Spielen auf Platz 2 der Liga, man hat bei zwei Spielen weniger 3 Punkte Rückstand auf Red Bull Salzburg. Mit 37 Toren habt ihr die meisten Tore der Herbstsaison erzielt. Wie zufrieden bist du mit dem bisherigen Saisonverlauf?
Patrick Fürst: Ich muss da ausholen. Bevor ich die Mannschaft übernommen habe, hatte sie einen gewissen Ruf: Viele gute Einzelspieler, aber keine Einheit. Es ist uns gelungen, dass die Mannschaft in punkto Einstellung große Schritte gemacht hat. Wir hatten teilweise unfassbare Spiele dabei, sind „Winterkönig der Herzen“ geworden. Bis auf das Eröffnungsspiel gegen Ried (2:5, Anm.), über das wir heute noch rätseln, und die Derby-Niederlage (1:3, Anm.) haben wir alles gewonnen. Selbst im Derby war ich - bis auf das Ergebnis - mit der fußballerischen Leistung zufrieden. Eine kleine Träne war gegen Ende hin allerdings auch dabei: Vor der Winterpause hätten wir unser Spiel gegen den WAC gehabt. Es wäre um den Herbstmeister gegangen, viele Austria-Fans haben sich angekündigt. Es wär‘ für die Jungs natürlich lässig gewesen, vor 100, 200 Leuten zu spielen.
Ihr habt Salzburg auswärts 4:2 geschlagen, das war innerhalb der Liga ein großes Ausrufezeichen.
Patrick Fürst: Das war ein absolutes Highlight für uns alle. Es ist schwer genug, dort überhaupt zu punkten. Unser Sieg war das i-Tüpferl für die überzeugenden Leistungen davor. Die Jungs sind teilweise drübergerasselt. Wir profitieren in der U16 sehr stark von den „Plus“-Spielern aus der U18. Die Zusammenarbeit in der Akademie von den Young Violets bis zur U15 ist großartig. Wir Trainer tauschen uns untereinander aus, wie jedes Team am Wochenende die bestmögliche Mannschaft zusammenbekommt. Wir haben viele fußballerisch gut entwickelte Jungs, spielen heuer sehr dominant, mutig und aktiv, ob mit oder ohne Ball.
Stichwort Playbook: Wie zufrieden bist du mit der Umsetzung deiner Mannschaft bisweilen?
Patrick Fürst: Das Playbook ist ein guter Anker für uns Trainer. Es tut gut, ein gemeinsames Papier zu haben, auf das man sich immer wieder berufen kann. Aber auch die Spieler lassen sich damit gut ins Boot holen. Sie sehen, es ist nicht nur die individuelle Idee eines Trainers, sondern betrifft den gesamten Verein. Egal ob wir Spieler in die U18 raufschieben oder welche von der U15 zu uns holen. Die Intensität ist zwar eine andere, aber die Jungs kennen die Basics. Sie wissen, was sie erwartet.
Eine Frage, die für die Fans interessant sein dürfte: Wer aus deinem Team hat das Zeug dazu, in 2,3 Jahren in der Kampfmannschaft aufzulaufen?
Patrick Fürst: Ich nenne keine Namen. Bei dieser Frage fällt mir Reece James (Rechtsverteidiger bei Chelsea, Anm.) ein, der im Interview einmal sagte, man hätte ihn mit 16 Jahren bei Chelsea eigentlich ausselektieren müssen, so schlecht wie er war. Heute ist er Nationalspieler. Gerade im Alter von 15, 16 Jahren kannst du noch nicht zu 100 Prozent voraussagen, wo die Reise hingeht. Jeder kommt soweit, wie ihn seine Fähigkeiten tragen. Das meiste entscheiden die Jungs selber.
Wo liegt der große Knackpunkt am Weg vom Jugendtalent zum Profisportler?
Patrick Fürst: Ich glaube, Widerstandsfähigkeit ist das Um und Auf. Spieler sind immer wieder verletzt, sitzen auf der Bank, sind nicht im Kader. Wenn du ganz oben mitspielen willst, hast du nicht einen Jahrgang, mit dem du um den Platz in der Startelf kämpfst, sondern 15. Du musst mental stark sein. Die äußeren Einflüsse sind in den letzten Jahren noch einmal mehr geworden. Durch Social Media wirkt alles natürlich größer, dazu sind sämtliche Statistiken überall einsehbar. Die Masse an Informationen, an täglicher Ladung ist enorm. Aber es gibt ein klares Ziel, für das es keine Motivation braucht: Jeder einzelne Spieler aus meiner Mannschaft will einmal in diesem Stadion spielen.
Ihr habt in der U16 gerade einmal 1 Jahr Zeit für Entwicklungsarbeit, bevor es für die Spieler weiter nach oben geht. Der Verein, die Spieler selbst, die Eltern der Spieler – alle haben hohe Ansprüche. Steht ihr als Trainerteam noch einmal besonders unter Druck?
Patrick Fürst: Unser einziger Druck ist, das bestmögliche aus den Spielern rauszuholen. Wir arbeiten viel mit Videos, machen ausführliche Einzelanalysen, versuchen die Eltern am Laufenden zu halten. Ohne Druck keine Entwicklung. Letzten Endes sind es aber nicht wir, die entscheiden, wer Profi wird.
Verfolgst du so etwas wie ein persönliches Karriereziel?
Patrick Fürst: Schwer zu sagen. Wenn mir vor fünf Jahren jemand gesagt hätte, dass ich einmal als U16-Trainer bei der Austria arbeiten werde, bei einem Verein mit so viel Strahlkraft, dann hätte ich das nicht für möglich gehalten. Jetzt bin ich hier und meine Arbeit wird positiv bewertet. Ich fühl‘ mich in diesem Umfeld gerade extrem wohl. Klar, ich bin ein neugieriger Mensch, irgendwann werde ich mich fragen „was gibt es noch für Möglichkeiten?“. Aber momentan weiß ich sehr zu schätzen, wo ich bin.
Danke fürs Gespräch!